Sondiert
Unterwegs im Dienst des Konsumentenschutzes Täuschungen auf der Spur
Arzneimittel oder Kosmetika? Unbedenklich oder nicht? Ein Fachgremium von Expertinnen und Experten aus verschiedenen Behörden untersucht, welche Produkte Heilmittel sind und welche nicht. Geleitet wird das Gremium von Swissmedic-Mitarbeiterin Corinne Robbiani. Ihre Arbeit ähnelt dabei oft einer kriminologischen Spurensuche.
«Eine sichere Alternative zur Reduzierung von Fettdepots», lautet ein Werbespruch für die Fettwegspritze, die sich angeblich «für Bauch, Hüften, Oberschenkel, Oberarme und Doppelkinn» eignet. Weiter heisst es: «Injizieren Sie die Lösung in Ihre Fettdepots.» Und: «Bestellen Sie noch heute!» Was wie ein Wundermittel gegen unliebsame Körperstellen klingt, hat vor einigen Monaten einen regelrechten Hype in den sozialen Medien erlebt. So sind im Internet nicht nur Videos zur Behandlung in Kosmetikstudios aufgetaucht, sondern auch Tutorials, die zeigen, wie man sich die Spritze selbst verabreicht. Die Folge: Bei Swissmedic sind vermehrt Anfragen von Privatpersonen eingegangen, was es denn mit dieser Lipolyse-Lösung auf sich habe. Ist dies ein Arzneimittel? Oder ein Kosmetikprodukt? Und ist es überhaupt sicher? «Tauchen solche Fragen auf, ist dies ein klassischer Fall für behördenübergreifende Zusammenarbeit», sagt Corinne Robbiani.
Die 58-jährige Swissmedic-Mitarbeiterin leitet seit zwei Jahren das Fachgremium für Abgrenzungsfragen. Darin sitzen weitere Fachpersonen und Juristinnen und Juristen von Swissmedic, vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). Aber auch die Kantonsapothekervereinigung (KAV) und der Verband Kantonschemiker Schweiz (VKCS) sind vertreten. Sie alle sind im Dienst des Konsumentenschutzes unterwegs, spüren Täuschungen auf oder sind dem Missbrauch von Produkten auf der Spur. Und zwar gemeinsam. «Geht es um den Schutz von Konsumentinnen und Konsumenten, muss man einfach zusammenarbeiten», ist Corinne Robbiani überzeugt.
Das Fachgremium trifft sich regelmässig und prüft Produkte, die in Verkehr gebracht werden sollen oder die bereits auf dem Markt sind. Das Gremium ist dabei allerdings kein Vollzugsorgan. Vielmehr entscheidet es, unter welche Rechtsgrundlage ein Produkt fällt. In einem zweiten Schritt ermittelt dann die zuständige Behörde; sie ist auch für den Vollzug zuständig. Deshalb klärt Swissmedic jeweils als Erstes die Kategorie eines Produktes: Zählt das neue CBD-Öl oder ein bestimmtes «Nahrungsergänzungsmittel» zu den Heilmitteln? Handelt es sich eher um ein Lebensmittel, eine Chemikalie oder ein Kosmetikum? Und wie sind die ätherischen Öle zur Inhalation einzuordnen, die das Wohlbefinden fördern sollen? Das Herausfordernde dabei: «Jeder Fall ist einzigartig, und wir müssen ihn neu bewerten», so Corinne Robbiani. Denn je nach Verwendungszweck oder Dosierung der Inhaltsstoffe können die Produkte unter ein anderes Gesetz fallen – was zu kniffligen Fällen führen kann. Magnesium etwa ist als Nahrungsmittelergänzung weit verbreitet und findet sich als solches auch in den Regalen von Migros, Coop und anderen Detailhändlern. Allerdings schreibt das Lebensmittelrecht genau vor, in welcher Dosierung Magnesium dort enthalten sein darf. Ist der Grenzwert überschritten und wird damit ein Mangel bekämpft, handelt es sich um ein Heilmittel – damit fällt es unter ein strengeres Gesetz. Auch bereits vorliegende Gerichtsurteile muss das Fachgremium berücksichtigen, wenn es Produkte unter die Lupe nimmt.
Um die Gesundheit von Konsumentinnen und Konsumenten zu schützen, sind die Fachpersonen von Swissmedic manchmal fast schon kriminologisch unterwegs. So analysieren sie die Zusammensetzung eines fragwürdigen Produktes im Swissmedic-eigenen Labor, ordnen im Lager eines Produzenten auch mal eine Hausdurchsuchung an oder sind Indizien auf der Spur: «Was in Blistern abgepackt ist, sieht eher wie ein Arzneimittel aus», erklärt Corinne Robbiani. «Gleichzeitig sind auch Nahrungsergänzungsmittel oder Medizinprodukte oft in Blistern abgepackt.» Dürfen Schwangere ein bestimmtes Produkt nicht einnehmen oder sind Nebenwirkungen auf Packungen oder Beipackzetteln vermerkt, deutet dies ebenfalls auf Heilmittel hin.
Ursprünglich hatte die Swissmedic-Mitarbeiterin Pharmazie in Freiburg und Bern studiert und anschliessend die Verwaltung einer Apotheke in Bern übernommen. Es waren die 1990er-Jahre und in unmittelbarer Nachbarschaft hatte sich die offene Drogenszene breitgemacht. Nach einem Überfall aus der Szene war für die Apothekerin der Zeitpunkt für eine Veränderung gekommen – sie wechselte zur Vorgängerorganisation von Swissmedic. 29 Jahre ist dies mittlerweile her. Während dieser Zeit beschäftigte sie sich unter anderem intensiv mit illegalen Arzneimitteln. Im Januar 2023 übernahm sie dann die Leitung der internen Fachgruppe Abgrenzungsfragen der Swissmedic – und vor zwei Jahren den Lead des behördenübergreifenden Fachgremiums für Abgrenzungsfragen.
Geändert hat sich viel in den letzten drei Jahrzehnten. «Anfangs hatten wir nicht mal PCs», erinnert sich Corinne Robbiani. Und es gab vor allem keine behördenübergreifende Zusammenarbeit – stattdessen arbeitete zunächst jede Behörde alleine. «Dass nun alle so konstruktiv und motiviert an einem Tisch sitzen, ist ein sehr grosser Fortschritt», findet die Pharmazeutin. «Denn nur gemeinsam schaffen wir Lösungen!» So publiziert das Gremium im Internet zum Beispiel regelmässig zusammen erarbeitete Merkblätter zu Abgrenzungsthemen.
Auf den Bildern fehlen:
- Mirjam Anderegg, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
- Ursula Deiss, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV)
- Martin Fabritius, Swissmedic
- Nadine Grisel, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
- Anna Rickli, Bundesamt für Gesundheit (BAG)
- Margot Spohn, Swissmedic
Eine weitere Herausforderung für die Expertengruppe: «Firmen entdecken leicht Gesetzeslücken, um ihre Produkte auf dem Markt zu halten», so Corinne Robbiani. Dies bedeutet zum Beispiel: Hat ein CBD-Öl keine Zulassung, um als Arzneimittel eingenommen zu werden, bringen einfallsreiche Unternehmen es einfach als «Mundspüllösung» heraus und propagieren es nur noch unter der Hand als Arzneimittel. Damit fällt das Produkt selber nicht mehr eindeutig unter die strenge Heilmittelgesetzgebung, sondern gilt auf den ersten Blick als Kosmetikum. «Genau diese Gesetzeslücken machen den Vollzug schwieriger, weil wir die versteckten Heilanpreisungen oder Anwendungshinweise zuerst beweisen müssen», so Corinne Robbiani. Und bevor die zuständige Behörde zum Beispiel ein Produkt verbieten kann, muss wiederum klar sein, unter welche Gesetzgebung es fällt.
Die Fettwegspritzen stuft das Gremium nach genauer Prüfung übrigens als Arzneimittel ein. Diese werden unter die Haut gespritzt und sind deshalb schon aufgrund der Applikationsart – weil eine Spritze dafür nötig ist – kein Kosmetikum. Aufgrund ihrer Applikationsart fallen sie somit unter das Heilmittelrecht.
Verfügt ein Arzneimittel jedoch über keine Zulassung, darf es in der Schweiz grundsätzlich weder vertrieben noch abgegeben oder angewendet werden. Die zuständigen Behörden können solche illegalen Arzneimittel beschlagnahmen. Falls ein Arzneimittel z.B. in der Schweiz (noch) nicht zugelassen oder auf dem Schweizer Markt nicht erhältlich ist und nicht durch ein anderes Arzneimittel ersetzt werden kann, darf es eine Medizinalperson wenn nötig – und nur unter genau definierten Bedingungen – in kleinen Mengen für eine bestimmte Person einführen. Manchmal muss dann aber am Zoll zuerst geklärt werden, ob es sich wirklich um Produkte handelt, die unter das Heilmittelrecht fallen, bevor Swissmedic den Import beurteilen kann.
Auch eine Privatperson darf Arzneimittel zum eigenen Gebrauch und nur in kleinen Mengen aus dem Ausland beziehen – auch wenn diese in der Schweiz nicht zugelassen sind. «Wenn eine Beschlagnahmung wegen einer kleinen Menge trotz einem potenziellen Risiko nicht möglich ist, können wir die Kunden nicht mehr schützen», sagt Corinne Robbiani. «Denn zum Schluss liegt es vor allem in den Händen der Konsumentinnen und Konsumenten. Wir als Expertengruppe können nur warnen, doch wer solche Produkte bezieht, handelt eigenverantwortlich. Und muss sich bewusst sein, dass er oder sie möglicherweise ungeprüfte Produkte schlechter Qualität verwendet, die der Gesundheit schaden können.»