Nachgefragt bei Christian Schärer, Leiter Inspection Management and Blood Surveillance «Fehler können in jedem Glied der Transfusionskette auftreten»

Welche Aufgaben hat die Haemovigilance von Swissmedic?

Christian Schärer: Die Haemovigilance überwacht die gesamte Transfusionskette vom Blutspender über zahlreiche Schnittstellen bis zu dem Menschen, der die Transfusion erhält, dem Patienten. Dabei sind die Verantwortlichkeiten klar geregelt: Die Blutspendedienste als Hersteller der Präparate sind für die Blutentnahme, Herstellung und Auslieferung zuständig. Sie benötigen eine Bewilligung von Swissmedic und werden regelmässig inspiziert. Die Haemovigilance von Swissmedic übernimmt die Überwachung der Qualitätssicherung und Transfusionsreaktionen, also unerwünschte Reaktionen von Fieber über Allergien bis zum lebensbedrohlichen Schock.
Julia Engels: Alle Beteiligten der Transfusionskette sind verpflichtet, Signale, Zwischenfälle oder neue Risiken Swissmedic zu melden. Die Hersteller und Spitäler müssen dafür eine «Haemovigilanceverantwortliche Person» benennen, in der Regel einen Arzt oder eine Ärztin. Swissmedic wertet diese Meldungen aus, identifiziert kritische Punkte und Sicherheitslücken – und leitet präventive Massnahmen und Verbesserungen ein.

Welches sind die besonderen Herausforderungen?

Christian Schärer: Der Umgang mit biologischen Substanzen des menschlichen Körpers wie eben Blut, die Lagerung und die notwendigen Labortests der Blutprodukte, die Logistik in der Verteilung und Anwendung am Patienten im Spital: All das stellt hohe Anforderungen an die ganze Prozesskette. Und der Transfusionsprozess im Spital ist komplex und involviert eine Vielzahl von Fachkräften, von der Pflegefachperson über die Ärztin bis hin zum Qualitätsbeauftragten.
Julia Engels: Auch wenn Blutprodukte in der Schweiz sehr sicher sind – ein Restrisiko für Zwischenfälle bleibt. Denn wir haben es mit einem sehr speziellen Produkt zu tun: Blut und labile Blutprodukte sind «lebende Arzneimittel», von einem Menschen gespendet. Alle Schritte von der Auswahl der Spender bis zur Nachsorge des Patienten oder der Patientin müssen überwacht werden und lückenlos nachvollziehbar sein: Besteht zum Beispiel der Verdacht, dass ein Blutprodukt eine Infektion übertragen hat, kann ein sogenanntes Rückverfolgungs-Verfahren (Look-back) angewendet werden – sogar bis 30 Jahre nach der Transfusion.

«Swissmedic kann intervenieren: von der Überwachung von Meldeprozessen bis zu gezielten Inspektionen.»
Christian Schärer
Wie viele Meldungen erhält die Haemovigilance pro Jahr?

Julia Engels: Swissmedic erhält pro Jahr rund 4500 Meldungen aus allen Bereichen der Transfusionskette: Einige Meldungen betreffen Nebenwirkungen bei den Spendenden selbst, zum Beispiel eine Ohnmacht nach der Blutspende oder die Entdeckung einer Infektionskrankheit im gespendeten Blut. Andere betreffen Probleme wie Infektionen oder allergische Reaktionen bei der transfundierten Person. Auch die Meldung von Transfusionsfehlern wie Verwechslungen oder «Near Misses» – Fehler, bei denen niemand zu Schaden kam – ist wichtig, um kritische Schritte zu erkennen und die Prozesse zu verbessern.

Gibt es einen Trend bei der Zahl der Meldungen?

Christian Schärer: Seit Einführung der Haemovigilance-Meldepflicht 2002 steigt die Zahl stetig an, was zeigt, dass das Meldesystem gut akzeptiert und genutzt wird. Swissmedic interveniert gezielt bei Institutionen, bei denen die Zahlen ein Underreporting vermuten lassen. Bei Inspektionen werden immer auch die Prozesse zur Einhaltung der Meldepflicht überprüft.

Julia Engels
Julia Engels
Christian Schär
Christian Schär
Welche Rolle spielt Enforcement bei der Haemovigilance?

Christian Schärer: Die Rolle von Swissmedic als zuständige Behörde ist zentral für ein funktionierendes nationales Blutspendewesen. Als unabhängige Behörde setzen wir im Interesse der Patientensicherheit die geltenden Regelungen mit verschiedenen Mitteln durch, verfolgen dabei wissenschaftliche Entwicklungen und passen die Qualitätsstandards entsprechend an.
Swissmedic kann auf verschiedenen Ebenen intervenieren: von der Überwachung von Meldeprozessen bis zu gezielten Inspektionen. Bei wiederholten Mängeln oder Nichteinhaltung der Meldepflicht sind Verwaltungsmassnahmen oder sogar strafrechtliche Untersuchungen möglich. Grundsätzlich aber geht es uns nicht darum, Schuldige zu suchen, sondern anhand von Meldungen zu eruieren, woher der Fehler kommt – um ihn in Zukunft zu vermeiden. Für das Enforcement ist die Kombination dieser «No blame»-Kultur eines Haemovigilance-Meldesystems und die Rolle als Inspektor kein Widerspruch.
Julia Engels: Im Zentrum steht die Patientensicherheit. Der Blickwinkel der Haemovigilance ist daher vor allem, relevantes Verbesserungspozential in den Prozessen zu identifizieren und zu korrigieren.

Gibt es konkrete Beispiele für Enforcement-Massnahmen?

Julia Engels: Bei der Anpassung von Herstellungsbedingungen kann die Haemovigilance eine massgebliche Rolle spielen. Ein Beispiel: In der Vergangenheit war es ein grosses Problem, dass sich in Konzentraten von Blutplättchen Bakterien vermehren können und dann bei der Transfusion übertragen werden. Das Problem konnte in den Haemovigilance-Meldungen erkannt werden. In der Schweiz wurde daher die Herstellung der Plättchen-Konzentrate verändert – es wurde eine sogenannte «Pathogeninaktivierung» eingeführt. Das ist ein Verfahren, bei dem allfällige Infektionserreger – wie Bakterien – bei der Herstellung abgetötet werden. Nach dieser Veränderung konnte in den Haemovigilance-Meldungen ein klarer Rückgang von bakteriellen Übertragungen beobachtet werden.