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Qualitätsprobleme bei Arzneimitteln «Vom Übersetzungsfehler über verunreinigte Arzneimittel: Wir schauen genau hin»

Susanne Wegenast, Abteilungsleiterin Marktkontrolle Arzneimittel bei Swissmedic, sagt: «Das Typische an Qualitätsmängeln? Jeder Mangel ist neu. Und jeder ist anders.» Wie geht Swissmedic bei Qualitäts­mängeln bei Arzneimitteln vor?

Wann sprechen wir bei einem Arzneimittel von einem Qualitätsmangel?

Wenn die von Swissmedic genehmigten Spezifikationen nicht eingehalten werden, bei der Herstellung von der Guten Herstellungspraxis (GMP) abgewichen wird oder bisher unbekannte Qualitätsmängel festgestellt werden, welche die Gesundheit von Mensch oder Tier gefährden können.

Was wäre das zum Beispiel?

Untermischung ist immer ein Thema: zum Beispiel eine falsche Tablette in einem Blister. Dann gibt es Stabilitätsprobleme, zum Beispiel ein Wirkstoffgehalt, der mit der Lagerung über die Laufzeit des Produkts zu stark abnimmt. Neu entdeckte Verunreinigungen, Fremdkörper wie Glassplitter, Metallabrieb – oder gar ein Insekt in einer Flüssigkeit. Ein Tubenfalz, der nicht dicht ist, eine Flasche, die leckt. Die Herausforderung ist unter anderem, Parallelen zu Fällen von anderen Firmen zu finden und Massnahmen so abzustimmen, dass Firmen gleichbehandelt werden. Das bedeutet, dass für vergleichbare Mängel vergleichbare Massnahmen angeordnet werden.

Susanne Wegenast
Susanne Wegenast
«Ein Rückruf basiert auf einer sorgfältigen Risikoanalyse.»
Susanne Wegenast
Susanne Wegenast
Wie sieht es aus mit Verpackungen oder Beipackzetteln? Ist Swissmedic hier auch zuständig? Was ist, wenn es da Fehler gibt?

Ja, Arzneimittel werden auf Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität geprüft – dazu gehören auch die Verpackung, die Patienteninformation und weitere Beschriftungen. Diese müssen dem entsprechen, was Swissmedic genehmigt hat. Bei unseren vier Landessprachen kann es auch zu Übersetzungsfehlern kommen. Ist es ein «Grammatikfehler», wird es nur heissen: Bei der nächsten Charge korrigieren! Wird aber der Sinn entstellt oder eine falsche Dosierung angegeben, ist es ein schwerer Mangel und kann eventuell einen Rückruf auslösen.

Wie läuft der Prozess rund um einen Qualitätsmangel bei einem Arzneimittel ab?

Internationale Meldungen erreichen uns über ein etabliertes Behördennetzwerk, Meldungen aus der Schweiz über ein spezielles elektronisches Postfach, das laufend überprüft wird. So können wir jederzeit rasch handeln. Es wird ein Fall eröffnet, durch wissenschaftliche Mitarbeitende evaluiert und klassifiziert. Sie melden sich bei der Zulassungsinhaberin, um den Sachverhalt detailliert abzuklären. Unsere Expertinnen und Experten entscheiden über mögliche Sofortmassnahmen, wie zum Beispiel das Lager zu sperren, sodass kein Produkt mehr rausgeht. Der Prozess läuft in genau festgelegten und dokumentierten Schritten ab, bei dem unser Gegenüber auch Anspruch auf rechtliches Gehör hat. Es gibt einen engen Austausch mit der fachtechnisch verantwortlichen Person der Firma. Wir können auch Inspektionen veranlassen und einen Massnahmenplan für korrigierende und präventive Massnahmen verlangen (Corrective and Preventive Action, CAPA).

Wie schnell handelt Swissmedic nach einer Meldung?

Jede eingehende Meldung wird gleichentags triagiert. Die zeitlichen Vorgaben sind abhängig von der Klassifikation. Es gibt drei Stufen. Klasse 1 heisst, es ist ein potenziell lebensbedrohlicher Mangel und muss innert 24 Stunden gemeldet werden: Zum Beispiel ein Notfallmedikament, bei dem ein Mechanismus nicht funktioniert und das dem Patienten nicht verabreicht werden kann. Oder eine mikrobiell kontaminierte Lösung zur Infusion – Stichwort Sepsis. Mögliche Glassplitter in einem Sirup für Kinder. Oder eine falsche Dosierung, wo Inhalt und Verpackung nicht übereinstimmen. Bei der Klasse 2 ist der Mangel immer noch gravierend – wie etwa eine mikro­biologische Verunreinigung in einem nicht sterilen Produkt (z. B. eine Mundspülung, die eine Erkrankung auslösen kann). Da beträgt die Meldefrist drei Tage. Bei Klasse-3-Mängeln wie einem falschen Barcode muss innerhalb von 15 Tagen gemeldet werden.

Klassifikation Nr. 1: Heisst das, sofort einen Chargenrückruf veranlassen und publizieren?

Das heisst: zunächst einmal nachdenken! Panikaktionen führen nicht zum Ziel. Wir evaluieren zuerst: Was genau beinhaltet der Mangel? Welche Chargen sind betroffen? Wie gross ist der mögliche Schaden für die Patientinnen und Patienten? Grundsätzlich basiert ein Rückruf auf einer sorgfältigen Risikoanalyse mit primärem Fokus auf die Patientensicherheit unter Wahrung der Verhältnismässigkeit. Es handelt sich um einen geführten Prozess. Denn man muss auch bedenken: Vielleicht muss der Hersteller die gesamte Produktion umstellen, das kann mitunter Monate oder gar Jahre dauern, bis eine korrigierte Version wieder auf dem Markt ist.

Was ist dann die Alternative?

Wir informieren umgehend und umfassend. In manchen Fällen können wir in Rundschreiben erklären, welcher Mangel festgestellt wurde – und was bei der Applikation beachtet werden muss. Dies kann zum Beispiel bei Verdacht auf Partikel die Verwendung eines Filters vor der Infusion bei einem Spitalprodukt sein.

Swissmedic reagiert aber nicht nur auf gemeldete Mängel.

Das ist richtig. Wir führen jedes Jahr verschiedene Schwerpunktaktionen durch, häufig in Zusammenarbeit mit unserem Swissmedic-Labor (OMCL). So wurde zum Beispiel die Teilbarkeit von Tabletten untersucht: Lassen sie sich brechen? Kommt es durch eine schlechte Teilbarkeit zu Fehldosierungen? Weiter werden Fertigarzneimittel mittels Screening auf noch unbekannte Verunreinigungen untersucht. Mit Studien wie diesen handeln wir bei der Marktüberwachung auch proaktiv.