Interview mit Karoline Mathys «Die Patientensicherheit hat für uns höchste Priorität»
Swissmedic ist als Zulassungsbehörde bekannt. Das Schweizerische Heilmittelinstitut ist jedoch in den gesamten Lebenszyklus von Arzneimitteln und Medizinprodukten eingebunden. Was geschieht, wenn Qualitätsmängel oder Sicherheitsprobleme gemeldet werden, wenn die Heilmittel bereits auf dem Markt sind? Karoline Mathys, Bereichsleiterin Marktüberwachung, informiert über Überwachungs- und Enforcement-Aktivitäten.
Heilmittel müssen qualitativ hochstehend, sicher und wirksam sein. Was tut die Marktüberwachung von Swissmedic dafür?
Swissmedic überwacht die Akteure und die Konformität der Arzneimittel und Medizinprodukte auf dem Schweizer Markt. Unsere Tätigkeit beginnt bei der Überwachung von klinischen Studien mit neuen Arzneimitteln und Medizinprodukten. Dabei geht es um eine breite Palette: von Arzneimitteln über Impfstoffe bis zur gesamten Medizintechnik und den In-vitro-Diagnostika. Von Implantaten über Operationsroboter bis zu komplexer Software.
Wir überwachen die bewilligten klinischen Prüfungen, evaluieren Meldungen zu Nebenwirkungen oder schwerwiegenden Vorkommnissen und inspizieren in Stichproben vor Ort die ordnungsgemässe Durchführung der Versuche. Bei Zwischenfällen oder Problemen greifen wir ein, sorgen für Anpassungen oder veranlassen wenn nötig den Studienabbruch.
Welche Unterschiede gibt es bei der Regulierung von Arzneimitteln und Medizinprodukten?
Einen erheblichen: Bei den Arzneimitteln haben wir eine nationale schweizerische Zulassung. Swissmedic kennt also die in der Schweiz verfügbaren Arzneimittel und die Akteure. Hersteller, Zulassungsinhaberin oder Grossisten zum Beispiel brauchen unsere Bewilligung.
Bei Medizinprodukten oder In-vitro-Diagnostika gibt es keine behördliche Zulassung. Die Schweiz ist hier Teil des EU-Marktes. Medizinprodukte werden aufgrund einer Konformitätsbewertung in der EU und gleichzeitig in der Schweiz marktfähig. Bei risikoreicheren Produkten gibt es neben der Bewertung des Herstellers eine ergänzende Evaluation mit Konformitätsbescheinigung durch eine Prüfstelle, eine «benannte Stelle» (notified body).
Swissmedic überwacht ja auch Spitäler – worum geht es da?
Bei den Medizinprodukten hat Swissmedic einen Überwachungsauftrag in Spitälern. Wir prüfen mit Inspektionen die Instandhaltung und die Aufbereitung von sterilen Medizinprodukten sowie den Meldeprozess bei schwerwiegenden Vorkommnissen.
Seit 26. Mai 2021 arbeitet Swissmedic gemäss der neuen Regulierung für Medizinprodukte. Was hat sich hier geändert?
Arzneimittel werden in der Schweiz seit 120 Jahren behördlich geprüft und zugelassen. Bei Medizinprodukten gibt es in Europa erst seit rund 30 Jahren Richtlinien. Diese wurden europaweit nicht einheitlich angewandt und waren zu wenig streng. Es kam immer wieder zu Zwischenfällen mit ungenügend geprüften Medizinprodukten. Die neue Regulierung enthält strengere Vorgaben zum Leistungsnachweis und zur Qualitätssicherung und konkretisiert die Rollen und Aufgaben der Wirtschaftsakteure. Die Vorgaben wurden für alle Marktakteure, für die Prüfstellen und auch für die behördliche Überwachung stark verschärft.
Und was bedeutet die Neuregulierung für die Hersteller?
Es sind mehr klinische Nachweise zur Leistungsfähigkeit und Sicherheit der Medizinprodukte erforderlich. Hersteller müssen nachweisen, dass ihre Produkte technischen Standards und klinischen Anforderungen genügen und zudem ein Qualitäts- und Risikomanagementsystem etablieren. Sie müssen ihre Produkte im Markt überwachen und periodisch Sicherheitsberichte erstellen, die von Prüfstellen und Behörden evaluiert werden. Auch die Vorgaben in Bezug auf die Kompetenzen und Unabhängigkeit der Prüfstellen wurden massiv verstärkt. Alle Marktakteure müssen sich an der Überwachung beteiligen und den Behörden einen Verdacht auf nicht konforme Produkte oder Produktemängel melden.
Was hat sich in Bezug auf die Überwachung der Heilmittel generell verändert?
Die nationale Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden und die internationale Abstimmung mit Heilmittelkontrollbehörden haben an Bedeutung zugenommen und wurden intensiviert.
Um Qualitäts- und Sicherheitsprobleme früh zu erkennen oder zu verhindern, intensivieren wir die Überwachungsaktivitäten im Markt. Ergänzend zu reaktiven Massnahmen bei eingehenden Meldungen planen wir jährliche Schwerpunktaktionen. Zum Beispiel führen wir vermehrt Inspektionen bei einer grösseren Anzahl Marktakteuren oder produktspezifische Aktionen durch. Wir arbeiten hier auch mit dem Zoll oder den kantonalen Behörden zusammen. Wir prüfen Muster von Medizinprodukten auf ihre Konformität oder analysieren bestimmte Arzneimittel in unseren eigenen Laboren. Unser Ziel ist es, nicht konforme Produkte aus dem Markt zu entfernen und Marktakteure zu sensibilisieren, damit diese ihre Verantwortung besser wahrnehmen.
Wenn Qualitätsmängel oder Sicherheitsprobleme im Rahmen der breiteren Anwendung und beim täglichen Gebrauch erkannt werden: Wer kommt auf Swissmedic zu?
Die verantwortlichen Firmen, aber auch medizinische Fachpersonen sind rechtlich verpflichtet, Swissmedic Nebenwirkungen, Qualitätsprobleme oder Vorkommnisse mit Medizinprodukten zu melden. Spitäler müssen eine verantwortliche Kontaktperson für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika definieren und Meldeprozesse etablieren. Es kommt auch vor, dass sich Patientinnen und Patienten an Swissmedic wenden und Nebenwirkungen melden.
Was geschieht nach der Meldung?
Wir priorisieren alle Meldungen nach klaren Kriterien und stellen dadurch sicher, dass wir bei Produktrisiken mit grosser Gesundheitsgefährdung sehr rasch aktiv werden, weitergehende Abklärungen vornehmen und Massnahmen im Markt durchsetzen. Konkret können wir zum Beispiel eine Anpassung der Produkt- oder Arzneimittelinformation verlangen, verbunden mit einem Warnschreiben an die Anwender. Oder wir untersagen das weitere Inverkehrbringen eines mangelhaften Heilmittels. Bei schwerwiegenden Sicherheitsproblemen können wir im Rahmen des Verwaltungsverfahrens auch gegen den Willen der Firma einen Rückruf von Produkten verfügen, wobei die Firma ein Beschwerderecht hat. Unsere Intervention muss verhältnismässig und dem Risiko angepasst sein – immer mit dem klaren Fokus auf eine Verbesserung der Patientensicherheit.
Ein Inspektorenteam gibt Auskunft «Die Schweizer Bevollmächtigten sind Dreh- und Angelpunkt der Regulierung von Medizinprodukten»
Die Neuregulierung für Medizinprodukte soll die Patientensicherheit verbessern. Aber werden die Bestimmungen im Markt korrekt umgesetzt? Dies überprüfte Swissmedic im Rahmen einer Schwerpunktaktion durch Inspektionen bei den Schweizer Bevollmächtigten. Ein Inspektorenteam der Abteilung Medical Devices Surveillance (MDS) – Thomas Hunkeler, Maria Bofan und Stefan Zysset – gibt Auskunft.
Im Gegensatz zu Arzneimitteln werden Medizinprodukte nicht von Swissmedic zugelassen. Der Hersteller ist zuständig für die Konformität der Produkte. Welches sind für Ihre Abteilung die grössten Herausforderungen bei der Marktüberwachung?
Stefan Zysset: Da ist einmal die sehr grosse Anzahl von etwa 500000 Medizinprodukten, die auf dem Markt sind, und deren grosse Bandbreite. Entsprechend viel Know-how ist von den wissenschaftlichen Mitarbeitenden der Inspektorenteams gefragt. In unserer Abteilung MDS arbeiten Inspektoren aus unterschiedlichen Fachgebieten interdisziplinär zusammen. Zum andern fordert uns die umfangreiche Neuregulierung der Medizinprodukte.
Was gibt es zum Beispiel für Qualitätsmängel bei Medizinprodukten?
Maria Bofan: Qualitätsmängel können vieler Art sein: vom abgebrochenen Implantat über fehlende oder unverständliche Gebrauchsanweisungen oder Funktionsstörungen bis hin zu Programmierfehlern bei Software. Jedes gemeldete Vorkommnis und jede Verdachtsmeldung wird nach einem risikobasierten Ansatz beurteilt, priorisiert und bearbeitet. Dann treffen wir die erforderlichen Massnahmen, um den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen oder Produktrisiken zu verringern. Oft sind dies Verwaltungsverfahren, in denen wir beispielsweise Produktmuster und eingereichte Dokumente überprüfen. Und wir führen auch Inspektionen durch, gegebenenfalls ohne Ankündigung.
Wie sehen Kontrollen in Bezug auf ausländische Hersteller von Medizinprodukten aus?
Thomas Hunkeler: Mit dem Wegfall des MRA, des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen, wird die Schweiz von der EU in Bezug auf Medizinprodukte als Drittstaat behandelt. Die neue Medizinprodukte-Regulierung der Schweiz trägt dieser neuen Rolle Rechnung. Ausländische Hersteller sind gesetzlich verpflichtet, einen Bevollmächtigten in der Schweiz zu haben, was die Kontrolle und die Überwachung ermöglicht.
Schweizer Bevollmächtigte: Was bedeutet das genau?
Stefan Zysset: Wer als ausländischer Hersteller ein Medizinprodukt in der Schweiz in Verkehr bringen will, muss mit einem Schweizer Bevollmächtigten – dem sogenannten CH-REP – einen schriftlichen Mandatsvertrag abschliessen. Er ist Dreh- und Angelpunkt der Schweizer Medizinprodukte-Regulierung, tritt in die Verantwortung des ausländischen Herstellers und ist zuständig für alle formellen und sicherheitsrelevanten Belange. Er haftet gegenüber geschädigten Personen für durch fehlerhafte Medizinprodukte verursachte Schäden solidarisch mit dem Hersteller.
Wie stellt Swissmedic sicher, dass die Bevollmächtigten die neue Regulierung kennen und korrekt handeln?
Thomas Hunkeler: Swissmedic hat proaktiv und umfangreich informiert: mit Online-Veranstaltungen, Merkblättern und vielen Inhalten auf unserer Website. Grundsätzlich liegt es jedoch in der Verantwortung der Schweizer Bevollmächtigten, sich mit der neuen Regulierung zu befassen und deren Vorgaben umzusetzen.
Und Ihr Team hat Inspektionen bei Schweizer Bevollmächtigten durchgeführt.
Maria Bofan: Wir haben in der ersten Jahreshälfte 2022 im Rahmen einer Schwerpunktaktion 20 bei Swissmedic registrierte Schweizer Bevollmächtigte inspiziert. Wir haben geprüft, ob die Verträge mit den ausländischen Herstellern sowie die Kompetenzen und Vorkehrungen der Bevollmächtigten den gesetzlichen Vorgaben entsprachen.
Thomas Hunkeler: Alle Inspektionen im Rahmen der Schwerpunktaktion fanden in einer konstruktiven und offenen Arbeitsatmosphäre statt. Die meisten Bevollmächtigten zeigten einen guten Kenntnisstand und setzten die rechtlichen Vorgaben zufriedenstellend um. Bei sechs Bevollmächtigten ergaben die Inspektionen keine Abweichungen. Bei den übrigen waren zum Teil Anpassungen der Verträge mit den ausländischen Herstellern, insbesondere bei der Verantwortung zur Meldung von schwerwiegenden Vorkommnissen an Swissmedic, nötig. Swissmedic überwachte die Umsetzung der Korrekturmassnahmen. Die Schwerpunktaktion hat sich, auch durch die Publikation der Ergebnisse, als Mittel zur präventiven Marktüberwachung bewährt.
Wie wirkt sich die neue Medizinprodukte-Regulierung im Endeffekt auf die Patientinnen und Patienten aus?
Maria Bofan: Die neue Regulierung ist umfangreicher und wurde gegenüber früher verschärft, mit dem Ziel, die Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten zu erhöhen. Dadurch werden Patientinnen und Patienten besser geschützt; sie können sich noch sicherer fühlen. Aus professioneller Sicht begrüsse ich es, dass die gesamte Lieferkette jetzt transparenter nachvollziehbar ist. Swissmedic kann bei Vorkommnissen schneller ermitteln, wo ein Problem besteht, und Schritte zur Behebung der Qualitätsmängel veranlassen.