Arzneimittel (Injektionslösung) zur Viertlinien-Behandlung des rezidivierenden und refraktären multiplen Myeloms bei Erwachsenen
Public Summary SwissPAR vom 26.05.2023
Tecvayli® (Wirkstoff: Teclistamab)
Befristete Zulassung in der Schweiz: 22.12.2022
Über das Arzneimittel
Das Arzneimittel Tecvayli mit dem Wirkstoff Teclistamab wird zur Behandlung des multiplen Myeloms («Knochenmarkkrebs») bei Erwachsenen eingesetzt, die mindestens drei vorausgegangene Behandlungsphasen durchlaufen haben, einschliesslich der Behandlung mit Medikamenten der drei Standardtherapieklassen, und deren Erkrankung nach der letzten Behandlungsphase ein Fortschreiten gezeigt hat.
Das multiple Myelom (MM) ist eine seltene Krebsart, welche etwa 1-2 Prozent aller Krebserkrankungen ausmacht. Die Häufigkeit der Neuerkrankungen mit MM nimmt mit dem Alter zu. Zwei Drittel der neuerkrankten Personen sind über 65 Jahre alt. Die Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine übermässige Vermehrung der Plasmazellen. Plasmazellen sind eine Unterart der weissen Blutkörperchen, welche im körpereigenen Abwehrsystem (Immunsystem) für die Produktion von Antikörpern verantwortlich sind. Im Rahmen des MM vermehren sich Plasmazellen unkontrolliert im Knochenmark und manchmal auch in anderen Organen. Dies verhindert die normale Bildung von Blutzellen und kann Knochen und andere Organe zerstören bzw. in ihrer Funktion beeinträchtigen.
Tecvayli wurde im Rahmen des «Project Orbis» befristet zugelassen. Project Orbis ist ein von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA koordiniertes Programm für vielversprechende Krebsbehandlungen. Es bietet einen Rahmen für die gleichzeitige Einreichung und Prüfung von Krebsmedikamenten durch mehrere internationale Partnerbehörden verschiedener Länder. Damit wird das Ziel verfolgt, Patientinnen und Patienten einen schnelleren Zugang zu innovativen Krebsbehandlungen zu ermöglichen. Zurzeit sind die Zulassungsbehörden von Australien (TGA), Brasilien (ANVISA), Israel (MOH), Kanada (HC), Singapur (HSA), Schweiz (Swissmedic) und dem Vereinigten Königreich (MHRA) im Project Orbis vertreten.
Wirkung
Teclistamab ist ein Antikörper (ein immunologisch wirksames Protein), der sowohl an die Tumorzelle über das sogenannte B Cell Maturation Antigen (BCMA) als auch an den CD3 Rezeptor (Bindungsstelle) auf den T-Zellen (Zellen des Immunsystems) bindet. Dadurch bringt Teclistamab die Tumorzellen mit den T-Zellen zusammen. Dies wiederum aktiviert die T-Zellen, die dann die multiplen Myelom-Zellen abtöten können.
Anwendung
Tecvayli mit dem Wirkstoff Teclistamab ist rezeptpflichtig.
Tecvayli ist als Injektionslösung in der Dosis
30 mg gelöst in 3 ml und 153 mg gelöst in 1.7 ml jeweils in einer Durchstechflasche erhältlich. Tecvayli wird unter die Haut gespritzt. Die Dosierung wird schrittweise auf die Behandlungsdosis erhöht.
Die Anwendung von Tecvayli soll nur unter der Anleitung von ärztlichem Personal mit Erfahrung in der intensivmedizinischen Behandlung der möglicherweise auftretenden unerwünschten Wirkungen erfolgen. Zu Beginn der Therapie mit Tecvayli, und bei Bedarf auch im späteren Verlauf der Behandlung, ist eine stationäre Überwachung während mindestens 48 h nach der Gabe notwendig.
Wirksamkeit
Die Wirksamkeit von Tecvayli wurde in einer offenen Studie ohne einen Kontrollarm mit 163 MM-Patientinnen und -Patienten nach mindestens drei vorausgegangenen Behandlungsphasen, einschliesslich der Behandlung mit Medikamenten der drei Standardtherapieklassen, untersucht.
Historisch betrachtet haben Patientinnen und Patienten mit rezidivierendem (wiederkehrendem) oder refraktärem (behandlungsresistentem) MM, die bereits mit den drei Standardtherapieklassen vorbehandelt wurden, einen ungünstigen Krankheitsverlauf (schlechte Prognose). Die Gesamtansprechrate (ORR)[1] lag bei ca. 30 %. Das mediane[2] progressionsfreie Überleben (PFS)[3] lag bei ca. 3 bis 6 Monaten und das gesamte Überleben (OS) bei ca. 6 bis 12 Monaten.
Mit Tecvayli erreichte die Studienpopulation eine ORR von knapp 60%. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Zulassung vorliegenden Daten schätzt man das mediane PFS unter Tecvayli auf ca. 10 Monate und das Überleben auf ca. 16 Monate. Allerdings ist die Studie noch nicht abgeschlossen.
[1] ORR (objective response rate) ist definiert als prozentualer Anteil von Patientinnen und Patienten mit Ansprechen auf die Therapie.
[2] Median: Der Wert, der genau in der Mitte einer Datenverteilung liegt, nennt sich Median oder Zentralwert. Die eine Hälfte aller Daten ist immer kleiner, die andere grösser als der Median.
[3] PFS: Progressionsfreies Überleben (PFS, progression-free survival): Zeitspanne zwischen dem Start einer Behandlung oder einer klinischen Studie und dem Beginn des Fortschreitens der Krankheit oder dem Tod der Patientin oder des Patienten.
Vorsichtsmassnahmen, unerwünschte Wirkungen & Risiken
Tecvayli darf bei einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff oder einem der Hilfsstoffe nicht angewendet werden.
Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen gehören Zytopenien[4], Infektionen, das Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS)[5] und unerwünschte neurologische Wirkungen.
Alle Vorsichtsmassnahmen, Risiken und weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind in der Fachinformation aufgeführt.
[5] Zytopenie: Verminderung der Anzahl der Zellen im Blut.
[6] Zytokin-Freisetzungssyndrom ist eine systemischen Entzündungsreaktion aufgrund massiver Ausschüttung von Zytokinen (Eiweisse), die die weissen Blutkörperchen aktivieren.
Begründung des Zulassungsentscheids
Da es sich beim multiplen Myelom um eine seltene und lebensbedrohende Krankheit handelt, wurde Tecvayli als «Orphan Drug» zugelassen. Mit «Orphan Drug» werden wichtige Arzneimittel für seltene Krankheiten bezeichnet.
Patienten und Patientinnen mit einem rezidivierenden oder refraktären stark vorbehandelten MM haben eine schlechte Prognose. Ein weiterer Behandlungsansatz für diese Personen ist die sogenannte anti-BCMA CAR-T Zell-Therapie. Diese Therapie ist jedoch nicht für alle betroffenen Patientinnen und Patienten einsetzbar. Daher besteht ein grosser Bedarf an neuen Therapiemöglichkeiten.
Die Daten der vorgelegten Studie zeigten eine hohe Ansprechrate unter Tecvayli verglichen zu den historischen Daten. Die Aussagekraft der Ergebnisse zum Überleben ist begrenzt, da die Studiendauer zum Zeitpunkt der Datenbetrachtung noch nicht ausreichend lang war.
Unter Berücksichtigung der Risiken und Vorsichtsmassnahmen und aufgrund der vorliegenden Daten hat Swissmedic das Arzneimittel Tecvayli mit dem Wirkstoff Teclistamab für die Schweiz befristet zugelassen (Art. 9a HMG), da zum Zeitpunkt der Zulassung noch nicht alle klinischen Studien vorliegen oder abgeschlossen waren. Die befristete Zulassung ist zwingend an die zeitgerechte Einreichung der von Swissmedic verlangten Daten gebunden. Nach Erfüllung dieser Zulassungsauflagen kann die befristete Zulassung bei weiterhin positiver Nutzen-Risiko-Beurteilung der Resultate in eine ordentliche Zulassung umgewandelt werden.
Weitere Informationen zum Arzneimittel
Information für medizinisches Fachpersonal:
Weitere Fragen beantworten Gesundheitsfachpersonen.
Der Stand dieser Information entspricht demjenigen des SwissPAR. Neue Erkenntnisse über das zugelassene Arzneimittel fliessen nicht in den Public Summary SwissPAR ein.
In der Schweiz zugelassene Arzneimittel werden von Swissmedic überwacht. Bei neu festgestellten unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder anderen sicherheitsrelevanten Signalen leitet Swissmedic die notwendigen Massnahmen ein. Neue Erkenntnisse, welche die Qualität, die Wirkung oder die Sicherheit dieses Medikaments beeinträchtigen könnten, werden von Swissmedic erfasst und publiziert. Bei Bedarf wird die Arzneimittelinformation angepasst.